Eine Nation unter Schock

Kolumne März 2019

Nach der rekordverdächtigen Dürre und einigen Waldbränden in der Region wurde Ende Februar das Wasser knapp. Aus Angst vor weiteren Feuern und wegen der Wasserknappheit war die Stimmung in ganz Nelson sichtlich angespannt. Mit dem Monatswechsel kam auch der langersehnte Regen. Man freute sich sogar darüber, dass dieses Hundewetter ganze zwei Wochen anhielt.

​Im Oktober hatte ich mich für die Cricket-Schulmannschaft eingeschrieben. Da ich aber keine Ahnung hatte, wie man diesen Sport spielt, brauchte ich ein paar Monate um die Grundtechniken zu erlernen. Nach den Sommerferien durfte ich dann endlich an Spielen teilnehmen. Leider werden diese Partien nur bei gutem Wetter durchgeführt, und so fielen die letzten Saisonspiele und Trainings wortwörtlich ins Wasser!

​In den letzten Wochen bereiteten wir uns fleissig auf ein zweitägiges Wildwasserkajaklager vor. Das war aber bei den niedrigen Wasserständen eher schwierig. Der Niederschlag kurz vor unserem Camp hatte eine Steigung der Pegel zur Folge. Ich hatte grossen Respekt vor diesem Vorhaben, denn plötzlich mussten wir beträchtliche Stromschnellen hinunterrasseln. Es stellte sich aber heraus, dass genau dieser wilde Ritt den Spass beim Paddeln ausmacht.

​Der 15. März 2019 war ein ganz normaler Schultag. Als auf dem Heimweg einer meiner Freunde auf sein Handy schaute, war er starr vor Schreck. In Christchurch, der grössten Stadt der Südinsel, wurden in zwei Moscheen Dutzende Gläubige von einem rechtsextremen Australier wahllos niedergeschossen. Das grösste Blutbad in Neuseelands Geschichte löste eine riesige Schockwelle aus. Niemand hatte erwartet, dass das idyllische Neuseeland zum Schauplatz eines solchen Massakers werden könnte. Auch weil Neuseeland, anders als Europa, kein Flüchtlingsproblem kennt. Die wenigen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind gut integriert. Dies gilt auch für die 50'000 Muslime, die Aotearoa ihr Zuhause nennen. Umso mehr waren die Kiwis geschockt und zeigten grosse Hilfsbereitschaft für die Opfer. Die Worte «THEY ARE US!» der Premierministerin Ardern machten weltweit Schlagzeilen.

​Auch in Nelson ist die Betroffenheit gross. Viele Leute waren nach den Erdbeben in 2011 von Christchurch hierhergezogen, darunter auch meine Gastfamilie. An meiner Schule sammelte man Geld für die Opfer. Viele Lehrerinnen trugen an jenem Trauertag aus Solidarität mit der muslimischen Bevölkerung ein Kopftuch. 

​Der Schock sitzt tief. Diesen Terroranschlag zu verdauen, wird wahrscheinlich noch lange dauern. Neuseelands Regierung reagierte sofort mit Massnahmen. Der private Besitz von halbautomatischen Gewehren ist per 11. April verboten, auch wenn dies rund 140 Millionen Franken kosten wird. Man will mit allen Mitteln verhindern, dass sich eine solch grauenhafte Tat wiederholt. Neuseeland geht gestärkt aus dieser Tragödie hervor, als geeinte Nation, die stolz auf ihre kulturelle Vielfalt und Freiheit ist.

​Veröffentlicht im Wohler Anzeiger / Bremgarten Bezirksanzeiger am 2. April 2019